Interview

Zum Abschluss des Vorläuferprojekts Teens4Kids führte die F.A.Z. ein Interview mit Prof. Dr. Gerd Assmann durch:


 

F.A.Z.: Der Schülerwettbewerb „(K)eine Spur von Hunger“ widmete sich einem besonderen Phänomen der Mangelernährung in Deutschland: „Hidden Hunger“ (übersetzt: verborgener Hunger). Können Sie das bitte genauer erklären?

Prof. Assmann: Verborgener Hunger umschreibt anschaulich das dauerhafte Defizit an lebensnotwendigen Mikronährstoffen. Mikronährstoffmangel tritt unabhängig von den konsumierten Kalorien auf und ist über einen langen Zeitraum nicht eindeutig äußeren Symptomen  zuzuordnen, bleibt also verborgen. Leidtragende sind insbesondere Kinder, und dies in mehrfacher Hinsicht: Fehlen beispielsweise in den ersten 1000 Tagen nach Befruchtung Mikronährstoffe wie Eisen, Jod, Zink oder Vitamin A, bleibt die körperliche und geistige Entwicklung nahezu irreversibel beeinträchtigt und das Risiko für chronische Erkrankungen lebenslang hoch. Wenn auch der verborgene Hunger in ärmeren Ländern in Afrika südlich der Sahara und in Asien am weitesten verbreitet ist, etwa 2 Milliarden Menschen betrifft und etwa alle fünf Sekunden bei einem Kleinkind zum Tode führt, finden sich deutliche Spuren von Mikronährstoffdefiziten zunehmend auch in Deutschland und werden hier oft übersehen. Vor allem Armut und einseitige Ernährungsgewohnheiten vergrößern den verborgenen Hunger hierzulande. Der Zustrom von Flüchtlingen aus ernährungsunsicheren Krisenländern wird zudem in Deutschland die Problematik von Mikronährstoffmangel in einem noch ungeahnten Ausmaß verschärfen. Hinzu kommt, dass der Klimawandel jetzt schon Ernteerträge quantitativ, aber auch qualitativ schmälert und wir nicht davon ausgehen können, die gewohnte Nährstoffdichte in unseren Lebensmitteln künftig wie selbstverständlich vorzufinden. Heute und fast zeitgleich zur Preisvergabe an „Teens4Kids“ beschließen die Vereinten Nationen in New York im Beisein herausragender Repräsentanten der Weltöffentlichkeit die Schwerpunkte für die Entwicklungspolitik der kommenden 15 Jahre. In der UN Zukunftsagenda wird dem Engagement gegen Mikronährstoffmangel oberste Priorität eingeräumt und die nachhaltige Sicherung der Welternährung in den globalen Fokus gestellt – eine symbolhafte Weichenstellung auch für die Initiative „Teens4Kids“.

F.A.Z.: Im Rahmen des Wettbewerbs erstellten die Schülerinnen und Schüler Kindersendungen, führten mit einer Grundschulklasse einen Workshop zur gesunden Ernährung durch oder starteten einen Fotowettbewerb auf Facebook, in dem sie Kinder und Jugendliche zum Posten von gesundem und leckerem Essen aufgerufen haben. Dieser Peer-to-Peer-Ansatz hebt sich von anderen Schulwettbewerben ab. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Prof. Assmann: Zunächst fühle ich mich bestätigt im Eindruck, dass wir von Jüngeren auch lernen können, wie präventivmedizinisches Wissen medientechnisch interessant weitergegeben werden kann. In den beeindruckend vielfältigen Wettbewerbsergebnissen wird vor allem deutlich, wie Kinder und Jugendliche in ihrer spezifischen Lebenswelt angesprochen werden wollen. Im Grunde geht es dabei darum, medizinische Prävention in der unmittelbaren Umgebung gleicher Altersgruppen positiv zu erleben. Dieser Ansatz sollte auf jeden Fall weiterentwickelt und einbezogen werden, um ansprechende, auf die Kita, auf die Schulen oder auf die Kinderund Jugendeinrichtungen zugeschnittene Präventionsangebote zu erstellen. Im Rahmen des neuen Präventions-gesetzes bietet es sich für Krankenkassen geradezu an, solche Konzepte zu verfolgen.

F.A.Z.: Der Fortschritt digitaler Medientechnologien beeinflusst immer stärker den Alltag sowie das Gesundheitsverhalten junger Leute. Welche Potentiale sehen Sie für die Gesundheitsprävention durch die Digitalisierung?

Prof. Assmann: An die Vorzüge einer digitalisierten Welt knüpft die Assmann-Stiftung für Prävention seit ihrer Gründung an. Wir stellen etwa auf der Website www.assmann-stiftung.de Ergebnisse präventivmedizinischer Forschung für Experten und Laien kompakt und im Detail lesbar dar und informieren Familien mit der AppzumArzt über verschiedene Angebote in der Vorsorgemedizin. Dank digitaler Medien können auch Kinder und Jugendliche schneller und persönlicher für Gesundheitsprävention interessiert werden, vorausgesetzt, die Informationen sind der Lebenswelt der jungen Generation angepasst. Die Optionen einer digitalisierten Gesundheitsprävention, beispielsweise in der Telemedizin, verbindeich persönlich mit einer zunehmenden Verantwortung für qualifizierte Information, d. h. dem Anspruch, die ständig und überall verfügbare Flut an medizinischen Daten sachkundig einzuordnen und zu bewerten.

F.A.Z.: Die Initiative „Teens4Kids“ ist nun zum zweiten Mal erfolgreich realisiert worden. Was folgt als Nächstes?

Prof. Assmann: Wir werden uns im Folgewettbewerb einem der Länder südlich der Sahara zuwenden, also einer Region, in der die Not am größten ist und in welcher der verborgene Hunger derzeit aller internationalen Hilfe zum Trotz eher zunimmt. Der verborgene Hunger hat von Region zu Region eine andere Ausprägung. Geplant ist daher, Studierende vor Ort und Studierende aus den betreffenden Entwicklungsländern in Deutschland anzusprechen, um mit Hilfe ihrer Regionalkenntnisse kreative Ideen zur Begrenzung von Mikronährstoffdefiziten in ihrer Heimat zu entwickeln. Studierende aus Deutschland werden ebenso aufgerufen sein, sich aktiv einzubringen. Wenn es uns gelingt, mit intelligenten Lösungsansätzen dem verborgenen Hunger in seiner regional spezifischen Ausprägung ein Stück weit präventiv entgegenzutreten, können wir hoffentlich Menschenleben retten und dauerhaft Entwicklungschancen vergrößern. Das Vorhaben reicht allerdings selbst im Tandem mit unserer starken Partnerin, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, auf Dauer über das Leistungsspektrum unserer Stiftung hinaus. Monokulturen, Klimawandel, Korruption, Bürgerkriege, existentielle Unsicherheiten bei der Bewirtschaftung von Land, unerwartet hohes und schnelles Bevölkerungswachstum in Afrika sind nur einige Faktoren, die absehbar verhindern, dass sich auch mit Biofortifikation und Supplementierung Mikronährstoffdefizite dauerhaft mindern lassen. Das größte Potential liegt wahrscheinlich darin, Forschung zu fördern, um besser zu verstehen, wie definierte Ernährungsbestandteile, z. B. Mikronährstoffe, molekulare Zielstrukturen im Genom und in der Zelle beeinflussen, und darauf basierend innovative Ernährungskonzepte zu entwickeln, um Gesundheit zu erhalten und ernährungsbedingte Krankheiten zu vermeiden. Durch Forschung und Information Leben retten ist das Leitmotiv und Langzeitziel der Stiftung.

 

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